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Um der steigenden Nachfrage nach klima- und umweltverträglich hergestellten Produkten gerecht zu werden, optimieren immer mehr Unternehmen ihre internen (Produktions-) Abläufe hin zu einer nachhaltigeren Wertschöpfung. Dieser Prozess wird begleitet durch eine wachsende Anzahl sog. Klimaklagen, die – überwiegend durch NGOs – längst nicht mehr nur gegen staatliche Akteure, sondern ebenso gegen einzelne Unternehmen erhoben werden.
Mit der gezielten Vermarktung konkreter Produkte als „klimafreundlich“ sind in der jüngeren Vergangenheit immer häufiger auch Marketingmaßnahmen Gegenstand von Klimaklagen (Climate Change Litigation) geworden. Der in diesem Zusammenhang vorgetragene Vorwurf des sog. Greenwashings hat dabei zur Herausbildung einer völlig neuen Fallgruppe von Klimaklagen geführt, welche Unternehmen zukünftig vor einige Herausforderungen stellen wird.
Bisherige Klimaklagen zielten im Wesentlichen darauf ab, den (mittelbaren) Treibhausgasausstoß der beklagten Unternehmen einzuschränken oder sie zur Beseitigung konkreter Auswirkungen des Klimawandels zu verpflichten. Beispiele für derartige Klimaklagen in Deutschland sind zahlreich[1]:
So klagte die Deutsche Umwelthilfe (DUH) gegen verschiedene Automobilhersteller auf Unterlassung der Herstellung und des Vertriebs von Verbrennungsmotoren. Eine der erhobenen Klagen hat das Landgericht Stuttgart zwischenzeitlich mangels Verletzung von Individualrechtsgütern als unbegründet abgewiesen.[2] Die Sache ist aktuell beim Oberlandesgericht Stuttgart in der Berufungsinstanz anhängig.
Mit ähnlicher Zielsetzung hat die DUH im Jahr 2021 Klage vor dem Landgericht Kassel erhoben, um einen Öl- und Gaskonzern letztlich zur Aufstellung und Einhaltung eines mit den Pariser Klimazielen zu vereinbarenden CO2-Budgets zu verpflichten.[3]
Für Aufsehen sorgte ferner die Klage eines peruanischen Bauern gegen ein deutsches Energieversorgungsunternehmen, die derzeit beim Oberlandesgericht Hamm in der Berufungsinstanz anhängig ist. Unter Verweis auf die (vermeintliche) Mitverantwortlichkeit des Unternehmens am globalen Klimawandel verlangt der dortige Kläger anteiligen Ersatz für Schutzmaßnahmen an seinem Haus, welches durch Schmelzwasser eines Gletschers bedroht werde. [4]
Mit dem gestiegenen gesellschaftlichen Bewusstsein für Klima- und Umweltschutz verstärken sich die wirtschaftlichen Chancen und damit auch die Risiken, die sich aus einer gezielten Vermarktung von Produkten als umweltfreundlich ergeben.
Dies haben nicht nur die werbenden Unternehmen erkannt, die ihre Marketingstrategien entsprechend anpassen, sondern ebenso zahlreiche NGOs. Letztere haben es sich mittlerweile insbesondere zur Aufgabe gemacht, Werbeaussagen auf ihre inhaltliche Richtigkeit und Verständlichkeit hin gerichtlich überprüfen zu lassen. Damit haben sie eine neue Kategorie der Klimaklagen geschaffen.[5] Im Mittelpunkt steht dabei stets der Vorwurf des sog. Greenwashings. Darunter ist der Versuch von Unternehmen zu verstehen, sich und die von ihnen vertriebenen Produkte durch umwelt- und nachhaltigkeitsbezogene (Werbe-) Aussagen in der Öffentlichkeit umweltfreundlicher und „grüner“ darzustellen, als sie es tatsächlich sind.[6]
Die Grundlage dieser Klagen findet sich im Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG), an dem sich jede Werbeaussage messen lassen muss. Werbeaussagen dürfen demnach insbesondere keinen irreführenden Charakter aufweisen. Ein solcher Charakter ist gem. § 5 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 UWG dann anzunehmen, wenn die Werbeaussage unwahre Angaben oder sonstige zur Täuschung geeignete Angaben über Zusammensetzung, Verfahren der Herstellung oder geographischen Herkunft des Produkts enthält und deswegen generell geeignet ist, die geschäftliche Entscheidung eines Marktteilnehmers zu beeinflussen. Nach § 5a Abs. 1, Abs. 2 Nr. 2 UWG gilt entsprechendes beim Vorenthalten bzw. bei Bereitstellung wesentlicher Informationen in unklarer, unverständlicher oder zweideutiger Weise. Von diesem weiten Verständnis gedeckt sind damit nicht nur sachlich falsche, sondern vielmehr auch objektiv zutreffende Angaben, die aber geeignet sind, im Geschäftsverkehr eine Fehlvorstellung hervorzurufen.[7]
Seit dem Jahr 2021 machen Verbraucherschutz- und Umweltverbände vermehrt von der ihnen nach § 8 Abs. 3 UWG zustehenden Möglichkeit Gebrauch, auf Beseitigung bzw. Unterlassung irreführender Werbung zu klagen. Bei der Bewertung der jeweiligen Werbeaussagen auf einen irreführenden Kern legen die Gerichte überwiegend einen eher strengen Maßstab an und unterwerfen die werbenden Unternehmen einer weitgehenden Aufklärungspflicht. Ihre Rechtfertigung erfährt diese Praxis durch „die starke emotionale Werbekraft (…) und wegen des im Hinblick auf die Komplexität von Fragen des Umweltschutzes meist nur geringen sachlichen Wissensstandes des Publikums über die naturwissenschaftlichen Zusammenhänge und Wechselwirkungen in diesem Bereich“[8].
Die Gefahr eines Verstoßes ist hoch. Mangels vom Gesetzgeber vorgegebener Definitionen für Begriffe wie „Klimaneutralität“, „CO2-Neutralität“, „Klimaschädigungsneutralität“, „Nachhaltigkeit“, „ESG-Konformität“ etc.[9] gehen Unternehmen mit dem Einsatz entsprechender Begriffe ein Risiko ein.[10] Im Zusammenhang mit den Begrifflichkeiten ist nicht nur unklar, welche Anforderungen das jeweilige Produkt erfüllen muss, sondern ebenso, welchen Detailgrad eine Werbung mit dem jeweiligen Attribut zu erfüllen hat.
So erachteten das Landgericht Mönchengladbach in seinem Urteil vom 25.02.2022 und das Landgericht Konstanz in seinem Urteil 19.11.2021 eine Werbung für ein „klimaneutrales“ Produkt als irreführend i.S.d. § 5 Abs. 1 UWG, weil das beklagte Unternehmen seinen Aufklärungspflichten nicht genügte. Aus der Werbeaussage gehe nicht hinreichend hervor, dass das beworbene Produkt nicht durch einen klimaneutralen Fertigungsprozess produziert worden sei, sondern stattdessen eine bilanzielle Klimaneutralität lediglich durch die Unterstützung diverser Aufforstungsprojekte bzw. mittels Zertifikatehandels erzielt worden sei. [11] Dabei wird allerdings nicht einheitlich beurteilt, welche Anforderungen an eine hinreichend detaillierte Werbung zu stellen sind. Während das Oberlandesgericht Schleswig bereits die Kenntlichmachung des nur bilanziell herbeigeführten Ausgleichs für ausreichend hält [12], wird in der landgerichtlichen Rechtsprechung überwiegend die Darlegung der einzelnen Maßnahmen verlangt, mit denen die bilanzielle Klimaneutralität erreicht wird. Auf diese Weise soll dem Kundenkreis die Entscheidung ermöglicht werden, konkrete Maßnahmen als schützenswert einzustufen.[13] Auch das Oberlandesgericht Frankfurt am Main geht von einer weitergehenden Aufklärungspflicht aus, wählt jedoch hinsichtlich deren Umfangs einen vermittelnden Ansatz unter gleichzeitiger Konkretisierung der Anforderungen im Einzelnen: Es müsse dargelegt werden, ob die in der Werbung behauptete Deklaration als „klimaneutral“ (teilweise) durch Einsparungen und/oder Ausgleichsmaßnahmen erreicht würde, ob bestimmte Emissionen aus der CO2-Bilanzierung ausgenommen seien und anhand welcher Prüfkriterien ein etwaiges Gütesiegel vergeben worden sei. [14] Weitergehende Aufklärungspflichten statuiert es jedoch nicht.
Diese Maßstäbe gelten nicht nur für Konsumgüterwerbung: Erst kürzlich gab das Landgericht Stuttgart einer Unterlassungsklage gegen eine Fondsgesellschaft statt, die ihren Fonds mit der Werbeaussage vermarktete, der Anleger könne je investierter Summe von € 10.000 seinen CO2-Fußabdruck um 3,5 Tonnen reduzieren. In dem Informationsmemorandum der Fondsgesellschaft zu dem Finanzprodukt wurde der messbare Beitrag zur Erreichung von Umweltzielen allerdings nur als unverbindliches Anlageziel bezeichnet.[15]
Auch im Jahr 2023 dürfte es an neuen Präzedenzfällen nicht mangeln. So durchsuchten Staatsanwaltschaft und BaFin erst vergangenes Jahr die Geschäftsräume einer Vermögensverwaltungsgesellschaft wegen des Vorwurfs einer vermeintlich zu ambitionierten Kennzeichnung von Finanzprodukten als „grün“ und „nachhaltig“. Auch die U.S.-amerikanische Börsenaufsicht SEC hat ihrerseits Ermittlungen aufgenommen.[16] Ebenfalls noch anhängig sind Verfahren, die in den USA gegen ein international tätiges Unternehmen wegen eines von diesem verwendeten Index geführt werden, der die Nachhaltigkeit der angebotenen Produkte anhand diverser Umweltdaten im Vergleich zu Wettbewerbern darstellen sollte.
Neben den zuvor geschilderten Klagerisiken kommt im Falle von Greenwashing-Vorwürfen grundsätzlich auch eine unmittelbare Inanspruchnahme des Unternehmens über § 831 BGB bzw. §§ 823, 31 BGB in Betracht. [17] Für die beteiligten Personen besteht daneben das Risiko einer Strafbarkeit wegen Betruges gem. § 263 StGB, wegen Kapitalanlagebetruges gem. § 264a StGB, ggf. auch wegen Subventionsbetruges gem. § 264 StGB und letztlich wegen unrichtiger Darstellung des Unternehmens in der Finanzberichterstattung gem. § 331 HGB bzw. § 400 AktG. [18] Schließlich könnte auch das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG) mit seinen umweltbezogenen Regelungen, welche mit Menschen- und Gesundheitsrechtsverletzungen und klimatischen Auswirkungen verstrickt sein können, der Erhebung von Klimaklagen weiteren Vorschub leisten.[19]
Die rechtssichere Gestaltung der eigenen Marketingmaßnahmen setzt neben der Einhaltung der Vorgaben aus dem UWG eine exakte Kenntnis des gesamten Produktionsablaufs und damit verbundener Schadstoffemissionen des beworbenen Produkts voraus. Die Zusammenarbeit mit Zulieferern erschwert dabei regelmäßig die genaue Aufstellung der Klimabilanz.
Die neueren Bestrebungen der Verbraucherschutz- und Umweltverbände, Werbeaussagen und Marketingstrategien von Unternehmen penibelst auf ihren Wahrheitsgehalt zu überprüfen und vermehrt zum Gegenstand von Unterlassungsklagen zu machen, hat zu einer neuen und wachsenden Fallgruppe der Klimaklagen geführt. Das Risiko entsprechender Klagen besteht insbesondere bei der Verwendung von Begriffen, welche die Gefahr bergen, möglicherweise ein zu ambitioniertes oder zu unscharfes Bild der eigenen Klimaschutzbemühungen zeichnen. Selbst eine objektiv zutreffende Werbeaussage kann im Einzelfall dem Vorwurf klagender Verbände ausgesetzt sein, das Unternehmen habe nicht hinreichend über konkret durchgeführte Klimaschutzmaßnahmen aufgeklärt. Exakte gesetzliche Definitionen der typischerweise im Zusammenhang mit Klimaschutz verwendeten Begriffe existieren dabei bislang nicht.
Darüber hinaus kann der Vorwurf des Greenwashing auch mit strafrechtlichen und ordnungsrechtlichen Verfahren sowie einer zivilrechtlichen Inanspruchnahme einhergehen, wobei sich Letztere insbesondere gegen das Unternehmen selbst richten wird. Unternehmen ist daher anzuraten, rechtzeitig die erforderlichen präventiven Maßnahmen zu ergreifen [20] und sich auf die Risiken vermehrter Klagen einzustellen.
Verfasst von: Julius Fabian Stehl und Felix Dobiosch.