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Mit Klauen und Zähnen? Der Referentenentwurf zur 11. GWB-Novelle ist da

Anknüpfend an seine kürzlich veröffentlichte Pressemitteilung hat das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz („BMWK“) diese Woche den Referentenentwurf des neuen „Wettbewerbsdurchsetzungsgesetzes“ veröffentlicht. Gut anderthalb Jahre nach Inkrafttreten der letzten Neufassung des deutschen Kartellrechts steht damit nun bereits die 11. GWB-Novelle vor der Tür. Nach der ersten Vorankündigung des Projekts durch Minister Robert Habeck im Juni dieses Jahres – die vor allem durch die Empörung über Großunternehmen, ihre vermeintlichen „Übergewinne“ und hohe Benzinpreise getrieben schien – gibt es hier nun erstmals detaillierte Regelungsvorschläge zu betrachten. Dieser Beitrag stellt die wesentlichen Neuerungen dar und ordnet sie ein.

Umfassende Reform der Sektoruntersuchung

Insbesondere angesichts der grassierenden Polykrise aus Pandemiebewältigung, Inflation, steigenden Kapitalmarktzinsen, Ukrainekrieg und massiv steigenden Gas- und Stromkosten sieht das BMWK es als „nicht hinnehmbar, dass es in einigen Bereichen immer noch verkrustete und durch Machtstrukturen geprägte Märkte zum Schaden der Verbraucherinnen und Verbraucher gibt“. Solcher „Verkrustung“ soll nun mit einer grundlegenden Reform der Sektoruntersuchung begegnet werden.

Als Instrument zum Ausbau des Marktverständnisses des Bundeskartellamts („BKartA“) und der Identifizierung etwaiger Wettbewerbsprobleme ist die Sektoruntersuchung zwar schon seit langem einsetzbar, wenn bestimmte Umstände vermuten lassen, dass der Wettbewerb im Inland eingeschränkt oder verfälscht sein könnte. Zuletzt wurde sie aber von vielen Beobachtern als wenig effektiv begriffen. Das Untersuchungsverfahren war oft von langer Dauer und dem BKartA ist es derzeit nicht möglich, unmittelbar aus den Untersuchungsergebnissen konkrete Maßnahmen abzuleiten. Es kann nach Abschluss einer Untersuchung seine gewonnenen Erkenntnisse lediglich dazu einsetzen, Einzelverfahren gegen bestimmte Unternehmen zu führen und diese dann mit dem üblichen Eingriffsinstrumentarium (Abstellungsverfügungen, Zusagenentscheidungen, Bußgelder) abschließen. Das soll nun anders werden.

Einleitung und Dauer: Schneller soll es gehen

Künftig soll eine Sektoruntersuchung spätestens 18 Monate nach ihrer (online anzukündigenden) Einleitung bereits wieder abgeschlossen sein. Bei der Einleitung wird zudem die Rolle der Monopolkommission, des unabhängigen Beratungsgremiums der Bundesregierung in Wettbewerbsfragen, gestärkt. Diese soll in ihren Gutachten Empfehlungen für untersuchungswürdige Sektoren aussprechen können. Wenn das BKartA einer solchen Empfehlung binnen sechs Monaten nicht folgt, muss es zu der Empfehlung Stellung nehmen.

Abhilfemaßnahmen: Mehr Macht für das BKartA

Wesentliche Änderung ist jedoch – analog zu in anderen Staaten wie Griechenland, Mexiko, Südafrika und insbesondere dem Vereinigten Königreich bekannten Instrumenten – die Einführung von direkten Eingriffsmöglichkeiten des Amtes nach Abschluss von Sektoruntersuchungen, um die in der Untersuchung identifizierten Wettbewerbsprobleme direkt anzugehen. Entsprechende Maßnahmen sollen durch separate Verfügung auferlegt werden, die ihrerseits spätestens 18 Monate nach Veröffentlichung des Abschlussberichts zur Sektoruntersuchung – der für das BKartA künftig verpflichtend wird und mit wettbewerbspolitischen Empfehlungen an die Bundesregierung angereichert sein kann – ergehen soll. Konkret kann die Behörde dabei „alle zur Beseitigung oder Verringerung der Störung des Wettbewerbs erforderlichen Abhilfemaßnahmen verhaltensorientierter oder struktureller Art vorschreiben“ und insbesondere die folgenden Aspekte regeln:

  • die Gewährung des Zugangs zu Daten, Schnittstellen, Netzen oder sonstigen Einrichtungen
  • die Belieferung anderer Unternehmen, einschließlich der Einräumung von Nutzungsrechten an geistigem Eigentum
  • behördliche oder vergleichbare Zulassungen oder Genehmigungen
  • die Lieferbeziehungen zwischen Unternehmen auf den betroffenen Märkten und auf verschiedenen Marktstufen
  • gemeinsame Normen und Standards
  • Vorgaben zu bestimmten Vertragsformen oder Vertragsgestaltungen einschließlich vertraglicher Regelungen zur Informationsoffenlegung
  • die organisatorische Trennung von Unternehmens- oder Geschäftsbereichen.
Das letzte Mittel: Die Entflechtung

Über diesen zuletzt genannten Punkt hinaus sieht der Entwurf zudem als ultima ratio den Zwang zur Veräußerung von Gesellschaftsanteilen oder Vermögen vor, d.h. die – oft markig als „Zerschlagung“ bezeichnete – eigentumsrechtliche Entflechtung. War diese in der Erstankündigung der neuen Pläne durch Minister Habeck noch als sehr weitgehend und von konkret festgestellten Wettbewerbsproblemen unabhängig skizziert worden, ist nun klar: es gelten einige Grenzen. Zwar ist weder hier noch bei den oben genannten Maßnahmen die Feststellung eines konkreten Kartellrechtsverstoßes durch ein einzelnes Unternehmen erforderlich. Jede Form von Entflechtung kommt aber nur in Betracht, wenn (1) „eine erhebliche, andauernde oder wiederholte Störung des Wettbewerbs auf mindestens einem Markt oder marktübergreifend vorliegt“, (2) zu erwarten ist, dass diese Störung durch die Entflechtung „beseitigt oder erheblich verringert wird“ und (3) keinerlei sonstige gleich wirksame Abhilfemaßnahme denkbar ist, die die beteiligten Unternehmend weniger belastet.

Zu begrüßen ist in diesen Zusammenhang, dass der Entwurf Wertungswidersprüche mit der Fusionskontrolle vermeiden will. Soll sich eine Entflechtungsanordnung auf Vermögensteile beziehen, die das betroffene Unternehmen zuvor erst erworben und für die es eine bestandskräftige fusionskontrollrechtliche Freigabe (durch BKartA oder Europäische Kommission) oder Ministererlaubnis erhalten hat, so ist dies erst dann zulässig, wenn zwischen der Zustellung der Freigabeentscheidung und der Zustellung der Entflechtungsanordnung mehr als fünf Jahre liegen. Dies entspricht dem üblichen Prognosezeitraum bei Fusionskontrollentscheidungen und ist insoweit nicht nur Vertrauensschutztatbestand zugunsten der betroffenen Unternehmen, sondern auch ein Fingerzeig an das BKartA, die wettbewerblichen Wirkungen eines Zusammenschlusses trotz der neuen Entflechtungsmöglichkeiten weiterhin genau zu prüfen. Die Entflechtungsanordnung soll nicht dazu dienen, in der Rückschau „bereute“ Freigabeentscheidungen kurzfristig zu korrigieren.

Das Zusammenspiel mit der Fusionskontrolle ist aber keine Einbahnstraße: Will ein Unternehmen nach einer Entflechtungsanordnung Teile des aufgrund dieser Anordnung veräußerten Vermögens zurückerwerben, so muss es nicht nur die fusionskontrollrechtlichen Regeln beachten. Vielmehr sieht der Entwurf für den Zeitraum von fünf Jahren ein vollständiges Rückerwerbsverbot vor – es sei denn, das Unternehmen weist nach, dass sich die Marktverhältnisse seit der Verfügung soweit geändert haben, dass eine Störung des Wettbewerbs nicht mehr vorliegt.

Verpflichtungszusagen und Bußgelder

Betroffene Unternehmen können versuchen, allen genannten Abhilfemaßnahmen durch das Angebot von Verpflichtungszusagen („Remedies“) zu entgehen. Wenn diese Zusagen das BKartA überzeugen, erklärt es sie für verbindlich und beendet das Verfahren auf dieser Basis. In beiden Fällen – verbindliche Verpflichtungszusagen und behördliche verfügte Abhilfemaßnahmen – sind die Unternehmen bußgeldbewehr zur Compliance verpflichtet. Kommen sie ihren Pflichten nicht nach, kann dies Bußgelder nach sich ziehen, die – jedenfalls theoretisch – ebenso hoch ausfallen können wie bei Kartellbußgeldern: die Obergrenze liegt auch hier bei 10% des weltweiten Umsatzes der betroffenen Unternehmensgruppe.

Wiedergeburt eines alten Bekannten: Die Anmeldeverfügung

Außerdem – und unabhängig von den bisher genannten Maßnahmen – soll das BKartA Unternehmen im Anschluss an eine Sektoruntersuchung verpflichten können, grundsätzliche alle ihre Zusammenschlüsse, die in den im Abschlussbericht der Untersuchung genannten Wirtschaftszweigen stattfinden, nach den fusionskontrollrechtlichen Regeln anzumelden. Voraussetzung ist, dass objektiv nachvollziehbare Anhaltspunkte dafür bestehen, dass durch künftige Zusammenschlüsse der wirksame Wettbewerb im Inland in einem oder mehreren dieser Wirtschaftszweige erheblich behindert werden könnte. Das Bundeskartellamt kann die Anmeldepflicht in seiner Verfügung in räumlicher Hinsicht (nur in bestimmten Kommunen, Ländern, Marktgebieten) oder in sachlicher Hinsicht (nur bestimmte Produkte, Leistungen) einschränken.

Kurios mutet an, dass diese Vorschrift eigentlich nicht neu ist. Vielmehr greift der Entwurf hier die erst mit der letzten Novelle im Januar 2021 eingeführte Vorschrift des § 39a GWB auf – die, obwohl das BKartA seit Januar dieses Jahres ein erstes Verfahren zu ihrer Anwendung prüft, nun gleich wieder gestrichen werden soll.

Neben dieser Randnotiz fällt jedoch vor allem ins Auge, dass der jetzige Plan auch mit einer deutlichen Aufweichung der Tatbestandsvoraussetzungen einhergeht. Bislang musste das durch die „Anmeldeverfügung“ adressierte Unternehmen Umsatzerlöse von mindestens 500 Mio. EUR weltweit sowie einen Anteil von mindestens 15% an Angebot oder Nachfrage in den betreffenden Wirtschaftszweigen in Deutschland aufweisen. Letzteres Kriterium soll nun ersatzlos entfallen, während die Umsatzschwelle auf 50 Mio. EUR inländischen Umsatz angepasst wird. Auch mit Blick auf das Zielunternehmen werden die Anforderungen abgesenkt: Ist derzeit erforderlich, dass das zu erwerbende Unternehmen Umsätze von mehr als 2 Mio. EUR und diese zu mindestens zwei Drittel im Inland erzielt, würde die Anmeldeverfügung nach dem Entwurf bereits alle Zusammenschlüsse anmeldepflichtig machen, bei denen das Target mehr als 500.000 EUR Umsatz ausweist – weltweit. Der für die Fusionskontrolle erforderliche Nexus zum deutschen Markt- und Hoheitsgebiet würde folglich nur noch über den Erwerber hergestellt werden.

Hintergrund dieser Änderung ist das Bestreben, „auch drohende Wettbewerbsprobleme etwa auf regionalen vermachteten Märkten adressieren zu können“. Aus diesem Grund soll für derartige Fusionskontrollprüfungen auch die sonst übliche Bagatellmarktklausel unanwendbar sein, was eine Untersagung von Zusammenschlüssen selbst auf sehr kleinen Märkten erlauben würde, in denen jährlich insgesamt weniger als 20 Mio. EUR in Deutschland umgesetzt werden.

Wie auch bisher sollen die Anmeldeverpflichtung grundsätzlich auf drei Jahre befristet sein. Wenn allerdings zum Ablauf dieses Zeitraums die objektiven Anhaltspunkte für fusionsbedingte Wettbewerbsbehinderungen fortbestehen, soll das BKartA seine Verfügung um weitere drei Jahre verlängern können – auch mehrfach. Zudem darf die Behörde für die Verfügung einer Anmeldepflicht auch an bereits abgeschlossene Sektoruntersuchungen anknüpfen, wenn zwischen Veröffentlichung des zugehörigen Abschlussberichts und Inkrafttreten der neugefassten Regelung zur Anmeldeverfügung weniger als ein Jahr vergangen ist.

Unsere Einschätzung: Großer Einfluss auf die Behördenpraxis

All diese deutlich ausgeweiteten Eingriffsbefugnisse haben das Potenzial, die Rechtsdurchsetzung des BKartA erheblich und langfristig zu beeinflussen: Weniger Augenmerk auf punktuelle „Signalverfahren“, aber mehr Aufwand bei Sektoruntersuchungen und dem Design breiter Abhilfemaßnahmen.

Gekoppelt mit dem zeitlichen Korsett konkreter Fristen würde dies aller Voraussicht nach einen erheblichen, auch personellen Mehraufwand beim BKartA nach sich ziehen, der wohl auch durch freiwerdende Ressourcen in der Fusionskontrolle (wo dieses Jahr ein durch die letzte Novelle bedingter deutlicher Rückgang der Verfahren zu verzeichnen ist) nicht kompensiert werden kann. Dementsprechend sieht auch der Entwurf einen personalbedingten Erfüllungsaufwand von rund 1,5 Mio. EUR für die reformierte Sektoruntersuchung vor.

Wird dies planmäßig umgesetzt, so müssen sich auch Unternehmen mit hervorragender Kartellrechtscompliance, die keinen konkreten Bezug zu bestimmten Kartellrechtsverstößen haben, künftig auf eine höhere Wahrscheinlichkeit für ein Aufeinandertreffen mit dem BKartA und seinen Maßnahmen einstellen – sowohl bei der Sachverhaltsermittlung („Marktforschung“) als auch bei etwaigen Abhilfemaßnahmen („Marktgestaltung“).

Erleichterte Vorteilsabschöpfung

Auch das Instrument der Vorteilsabschöpfung nach § 34 GWB soll reformiert werden. In der Theorie ermöglicht es den Kartellbehörden, Unternehmen Vorteile zu entziehen, die sie aus kartellrechtswidrigem Verhalten erlangt haben; die abgeschöpften Beträge fließen dann der Staatskasse zu. Soweit die Theorie. In der Praxis hat das BKartA es bisher noch nie eingesetzt, was das BMWK als Signal mangelnder Schlagkraft wertet. Darum soll nun zweierlei geschehen.

Verzicht auf Verschulden: Die objektive Rechtsverletzung genügt

Zum einen soll das bislang geltende Erfordernis eines fahrlässigen oder vorsätzlichen Kartellrechtsverstoßes als Voraussetzung der Normanwendung entfallen. Was auf erstes Ansehen bedenklich scheinen mag, dürfte aus Unternehmenssicht letztlich keine spürbare Verschärfung der Lage darstellen, da der Nachweis eines zumindest fahrlässigen Verhaltens auch in Bußgeldverfahren regelmäßig keine hohe praktische Hürde darstellt. Wichtig ist vielmehr, dass der Referentenentwurf daran festhält, dass in jedem Fall ein Kartellrechtsverstoß objektiv verwirklicht und nachgewiesen sein muss. Mit anderen Worten: Verzichtet wird nur auf das Erfordernis der Schuld, nicht aber auf das der Tat. Eine „verdachtsbezogene“ Vorteilsabschöpfung kommt nicht in Betracht. Der Novellierungsvorschlag ist damit weniger einschneidend und auch unter verfassungsmäßigen Gesichtspunkten weniger angreifbar als noch im Sommer von einigen Beobachtern befürchtet.

(Un-)schätzbarer Vorteil: Doppelte Vermutung zugunsten der Behörde

Rauer wird der Wind jedoch bei der Bestimmung des abzuschöpfenden Vorteils. Der Entwurf sieht eine widerlegliche Vermutung sowohl für das Entstehen eines verstoßbedingten wirtschaftlichen Vorteils an sich als auch für dessen Höhe vor. Insgesamt darf der abgeschöpfte Betrag die bei Kartellbußgeldern übliche Obergrenze von 10% des weltweiten Gruppenumsatzes nicht übersteigen. Die vermutete Mindesthöhe soll bei 1% der Umsätze liegen, die im Inland mit den kartellierten Produkten oder Dienstleistungen erzielt wurden.

Bemerkenswert ist, dass – sollte der Entwurf Gesetz werden – dieses eine Prozent in der Praxis de facto zum Grundbetrag der Vorteilsabschöpfung werden dürfte. Denn die Vermutung für die Mindesthöhe wird, sofern man es nicht mit einer insgesamt sehr gewinnarmen oder gar defizitären Unternehmensgruppe zu tun hat, in vielen Fällen nicht zu widerlegen sein wird. Grund hierfür ist, dass die Vermutung nur widerlegt werden können soll, „soweit das Unternehmen nachweist, dass weder die am Verstoß unmittelbar beteiligte juristische Person noch das Unternehmen im relevanten Zeitraum einen Gewinn in entsprechender Höhe erzielt hat“, wobei für diesen „Vergleichsgewinn“ auf die weltweiten Gewinne der gesamten Unternehmensgruppe im maßgeblichen Abschöpfungszeitraum abgestellt wird. Bei einigermaßen diversifizierten und/oder international aufgestellten Unternehmen dürften die weltweiten Gewinne über alle Produkte und Dienstleistungen hinweg aber regelmäßig bei mindestens 1% der Umsätze mit kartellierten Produkten in Deutschland liegen. Eine Vermutungswiderlegung wäre dann nach dem Entwurf unmöglich und das Unternehmen könnte sich nur noch auf die schon heute bestehende Härtefallregelung berufen, wonach die Vorteilsabschöpfung auf einen „angemessenen Geldbetrag“ beschränkt werden oder ganz unterbleiben soll, wenn sie eine unbillige Härte für das Unternehmen darstellen würde.

Unsere Einschätzung: Es wird teurer

Vor allem angesichts dieser Vermutungswirkungen dürfte der Entwurf, würde er in der jetzigen Gestalt Gesetz, sein Ziel erreichen und die „Einsatzfreude“ des BKartA bei der Vorteilsabschöpfung deutlich erhöhen. Das gilt umso mehr, als sie künftig auch zeitlich umfassender und insgesamt länger einsetzbar bleiben soll. Gegenwärtig kann die Vorteilsabschöpfung nur innerhalb einer Frist von bis zu sieben Jahren seit Beendigung der Zuwiderhandlung und längstens für einen Zeitraum von fünf Jahren angeordnet werden. Der Entwurf will die Frist, die zudem durch behördliche Ermittlungsmaßnahmen gehemmt wird und im Fall abschließender Behörden- und Gerichtsentscheidungen von neuem beginnt, jedoch auf zehn Jahre verlängern. Zudem soll die Eingrenzung des relevanten Abschöpfungszeitraums ganz entfallen, sodass auch über einen deutlich länger währenden (Kartell-)Zeitraum wirtschaftliche Vorteile abgeschöpft werden können. Für die Behörde ist dadurch insgesamt „mehr zu holen“, was den Einsatz der Vorteilsabschöpfung künftig insgesamt erheblich wahrscheinlicher machen wird. Für Unternehmen, denen Kartellrechtsverstöße nachgewiesen werden, ergeben sich hierdurch zusätzlich zu etwaigen Bußgeldern weitere finanzielle Risiken.

Durchsetzung des Digital Markets Act: Steigbügel für die neue Regulierung

Schließlich bereitet der Entwurf auch dem Digital Markets Act (DMA), dem europäischen Leuchtturmgesetz zur Regulierung großer Technologieunternehmen, den Weg. Er schafft dabei nicht nur die rechtlichen Grundlage dafür, dass das Bundeskartellamt die Europäische Kommission bei der behördlichen Durchsetzung des DMA (Public Enforcement) unterstützen kann, sondern sichert zudem auch die private Rechtsdurchsetzung (Private Enforcement) ab.

Public Enforcement

Was das BKartA anbelangt, so wird dieses explizit zur Durchführung von Untersuchungen wegen möglicher DMA-Verstöße berechtigt und – sofern es solche Untersuchungen durchführt – zur Berichterstattung gegenüber der Europäischen Kommission verpflichtet. Existierende Regelungen über die behördliche Zusammenarbeit mit der Kommission und die Mitwirkung an den von ihr geführten Verfahren erhalten DMA-spezifische Ergänzungen.

Private Enforcement

Das gilt auch für die Zuständigkeit der Landgerichte im Private Enforcement. Diesen wird – wie auch für Kartellschadensersatzklagen – die ausschließliche Zuständigkeit eingeräumt, wenn Kläger ihre Ansprüche auf DMA-Verstöße stützen. Außerdem dürfen die Bundesländer auch hier gerichtsbezirksübergreifende Zuständigkeitskonzentrationen bei einzelnen Landgerichten schaffen und werden die im Verhältnis von Gerichten und Kartellbehörden geltenden Benachrichtigungs- und Kooperationsregelungen auf DMA-bezogene Klagen erstreckt. Dass derartige Klagen größere Aussicht auf Erfolg haben können, will der Referentenentwurf durch die Erstreckung der aus dem Kartellschadensersatzrecht bekannten, klägerfreundlichen Regelungen zu den Beseitigungs-, Unterlassungs-, Schadensersatz- und Auskunftserteilungsansprüchen, den Regelungen zur Offenlegungen von Informationen aus Behördenakten sowie zur Bindungswirkung behördlicher Entscheidungen sicherstellen. Insbesondere würden Kläger künftig also in der Lage sein, sich bei ihren DMA-bezogenen Klagen auf die in bestandskräftigen Entscheidungen der Europäischen Kommission zu stützen, sodass das Vorliegen eines Verstoßes gegen den DMA vor Gericht unbestreitbar feststeht.

Unsere Einschätzung: Erwartungsgemäßes Facelift

Da der DMA ein Private Enforcement als zweites Standbein der Rechtsdurchsetzung explizit voraussetzt, sind die nun getroffenen Regelungen nicht überraschend und halten sich im Rahmen dessen, was zu erwarten war. Die vom DMA adressierten sog. Gatekeeper-Unternehmen aus der Digitalwirtschaft sehen sich hierdurch mit weiteren Herausforderungen konfrontiert. Insgesamt ist der Wirkungskreis der Regelungsvorschläge hier jedoch weit enger gefasst als bei den Regelungen zu Sektoruntersuchungen und zur Vorteilsabschöpfung. Während letztere alle in Deutschland aktiven Unternehmen betreffen, geht das DMA-Enforcement nur die von der Europäischen Kommission explizit als Gatekeeper benannten Unternehmen an – von denen es aller Voraussicht nach auf absehbare Zeit kaum mehr als ein halbes Dutzend geben wird.

Ausblick: Nach der Novelle ist vor der Novelle

Für das BMWK markiert die Entwurfsveröffentlichung einen weiteren Meilenstein bei der Abarbeitung seiner im Februar dieses Jahres vorgelegten wettbewerbspolitischen Agenda („10 Punkte für nachhaltigen Wettbewerb als Grundpfeiler der sozialökologischen Marktwirtschaft“). Das Thema „Nachhaltigkeit“ hat im jetzigen Entwurf zwar keinen Platz. Allerdings hat das BMWK bereits angekündigt, noch in dieser Legislaturperiode eine 12. GWB-Novelle auf den Weg zu bringen, die sich dann auch den Themen „Rechtssicherheit für Nachhaltigkeitskooperationen von Unternehmen“ und „stärkerer Verbraucherschutz“ widmen soll. Der Trend, das GWB im Lichte aktueller Strömungen kurzfristig zu reformieren, wird also aller Voraussicht nach ungebrochen anhalten.

Nach jetzigem Stand dürfte der Entwurf auch recht gute Chancen haben, in seiner jetzigen Gestalt in Kraft zu treten. Wie vereinzelt berichtet wurde, hat das BKartA selbst intensiv an dem Entwurf mitgearbeitet. Zudem genießen die angedachten Neuerungen in vielerlei Hinsicht auch das Plazet der Monopolkommission. Diese hatte in ihrem letzten Hauptgutachten die Ideen des BMWK in einem eigenen Kapitel gewürdigt und insbesondere die Weiterentwicklung des Instruments der Sektoruntersuchung begrüßt. Der aktuelle Entwurf scheint sich hier eng an den dortigen Anregungen zu orientieren.

Vor allem aber sind die jetzigen Vorschläge gegenüber den im Juni mit einigem Aplomb vorgetragenen Ideen („Kartellrecht mit Klauen und Zähnen“) nicht unerheblich entschärft. Insbesondere ist nun klar, dass es keine anlasslose Entflechtung von (Groß-)Unternehmen geben wird und auch eine Vorteilsabschöpfung – selbst wenn es hier künftig nicht mehr auf ein Verschulden ankommen sollte – nach wie vor in objektiv gegebenen Kartellrechtsverstößen verankert sein muss, die vom Bundeskartellamt nachzuweisen sind. Wesentliche Bestandteile der im Sommer geäußerten Kritik, die eine von rechtlichen Prinzipien losgelöste Nutzung des GWB für politische Zwecke befürchtete (dazu unser Beitrag hier), sind damit zumindest aufgeweicht. Der Entwurf dürfte sowohl in Fach- als auch in Regierungs- und Parlamentskreisen deutlich mehrheitsfähiger sein als die ursprünglich skizzierten Ideen.

Das letzte Wort ist allerdings noch nicht gesprochen, zumal der Entwurf in einem entscheidenden Punkt von den Empfehlungen der Monopolkommission abweicht. Diese hatte sich für eine effektivere Abschöpfung wirtschaftlicher Kartellvorteile über Bußgelder und Schadensersatzzahlungen ausgesprochen und eine Neuregelung zur Vorteilsabschöpfung insoweit für „entbehrlich“ gehalten.

Ob diese Sicht sich durchsetzen kann, darf allerdings bezweifelt werden. Jedenfalls auf Seiten des BMWK scheint der starke Wille vorhanden, dem BKartA ein flankierendes Eingriffsinstrument außerhalb der verfahrensmäßigen Grenzen von Bußgeldverfahren an die Hand zu geben – zumal die Bußgeldentscheidungen der Behörde ohnehin regelmäßig klarstellen, dass die Buße lediglich der Ahndung des Kartellverstoßes dient und gerade keinen abschöpfenden Teil enthält. Als zusätzliches, komplementäres Werkzeug erhält die gestärkte Vorteilsabschöpfung sicherlich noch weiteren Reiz.

Insgesamt scheint es daher sehr gut möglich, dass die nun vorgestellten Neuerungen schlussendlich tatsächlich Gesetz werden. Abzuwarten bleibt freilich, wann dies der Fall sein wird – und wie viele „Klauen und Zähne“ bis dahin vielleicht noch hinzugefügt werden.

 

 

 

Verfasst von Martin Sura und Florian von Schreitter.

 

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