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Wo die VOB/B gilt, herrscht relative Klarheit – aber was gilt für Kaufverträge mit Bauverpflichtung, die regelmäßig dem Werkvertragsrecht nach dem BGB unterliegen?
Mittlerweile gibt es eine Vielzahl von Veröffentlichungen, die sich mit den Auswirkungen der Corona Pandemie auf Bauverträge befassen. Dagegen fast stiefmütterlich wurde bisher die Frage der Auswirkungen auf Kaufverträge mit Bauverpflichtung behandelt – insbesondere hinsichtlich Fristverlängerungen und Vertragsstrafen. In Anbetracht der Vielzahl solcher Verträge sind Antworten hierauf aber nicht weniger von Interesse. Dieser Beitrag konzentriert sich auf Kaufverträge mit institutionellen Erwerbern, bei denen die Anwendung der Makler- und Bauträgerverordnung (MaBV) regelmäßig ausgeschlossen ist.
Maßgeblich für die Verlängerung von Bauausführungsfristen sind die zugrundeliegenden Vereinbarungen im werkvertraglichen Teil (Bauverpflichtung) des Kaufvertrages. In Betracht kommen vertragliche Regelungen (s.u. Ziffer 1), die in den Kaufvertrag mit Bauverpflichtung einbezogene Vergabe- und Vertragsordnung für Bauleistungen – Teil B (VOB/B – s.u. Ziffer 2) oder eine Anwendung der Regelungsprinzipien des § 6 Abs. 1 bis 4 VOB/B (s.u. Ziffer 3).
Im Kaufvertrag mit Bauverpflichtung sind regelmäßig – jedoch abhängig vom Planungs- / Baustadium bei Vertragsschluss – Vereinbarungen zu diversen Meilensteinen (z.B. Bauantragseinreichung, Erteilung Baugenehmigung, Baubeginn etc. bis zu bestimmten Terminen) und zu einem voraussichtlichen sowie spätesten Fertigstellungstermin enthalten. Für den Fall der Nichteinhaltung vereinbarter Meilensteine und Termine wird mit Rechtsfolgen wie beispielsweise Vertragsstrafen und/oder Rücktrittsrechten gearbeitet. Da Zeitverzögerungen im Baugewerbe jedoch keine Seltenheit sind, enthalten die werkvertraglichen Teile dieser Kaufverträge üblicherweise Regelungen zu Verschiebungen der vereinbarten Meilensteine und Fertigstellungstermine und deren Rechtsfolgen. Diese sind zumeist davon abhängig, welche der Parteien die Verzögerung zu vertreten hat. Nicht selten enthalten die Kaufverträge auch ausdrückliche Regelungen zu einer Bauzeitverlängerung auf Grund von höherer Gewalt, da diese grundsätzlich von keiner Partei zu vertreten ist, sofern die Auswirkungen nicht durch eine Partei (schuldhaft) verschlimmert werden. Für eine solche Verlängerung kommt es zunächst auf die Ausgestaltung der vertraglichen Regelung und deren Definition von höherer Gewalt an. Grundsätzlich kann argumentiert werden, dass die Corona Pandemie als Fall der höheren Gewalt zu werten ist (zu Details siehe auch unseren Blog-Beitrag vom 19. März 2020 „Corona als Fall der höheren Gewalt in Hotelmietverträgen“). Die meisten Verträge sehen dann einen Automatismus vor, d.h., vereinbarte Termine verschieben sich automatisch um denjenigen Zeitraum (dieser ist in manchen Verträgen auch zeitlich begrenzt), in welchem aufgrund des Eintritts der höheren Gewalt die Erfüllung von Verpflichtungen unmöglich oder undurchführbar ist. Einige Verträge enthalten allerdings lediglich ein Anspruch des Verkäufers auf Gewährung einer Fristverlängerung, so dass die Verschiebung der vereinbarten Termine von einem vertraglich vorgesehenen Prozedere und der Zustimmung des Käufers (die gegebenenfalls aber nur unter bestimmten Voraussetzungen verweigert werden kann) abhängt.
Häufig soll im Fall einer Verspätung der Fertigstellung (Nichteinhaltung vereinbarten Termins) zunächst eine Vertragsstrafe verwirkt werden und erst später (nach Ablauf einer gewissen Nachfrist bzw. Überschreitung des vereinbarten spätesten Fertigstellungstermins) ein Rücktrittsrecht entstehen. Verschiebt sich der hierfür maßgebliche Termin nach den vorstehend erläuterten Prinzipien, ist grundsätzlich davon auszugehen, dass sich der Bezugspunkt für die Verwirkung der Vertragsstrafe ebenfalls entsprechend um den Verlängerungszeitraum verschiebt. Hierbei kommt es allerdings immer auf die konkreten vertraglichen Regelungen an, im Einzelfall kann auch etwas Abweichendes gelten.
Sollte die Vertragsstrafe ein Verschulden des Verkäufers voraussetzen, müsste der Verkäufer die Verzögerung zudem zu vertreten haben. Ein Vertretenmüssen wäre dann nicht zu bejahen, wenn die entstandene Verzögerung allein auf die Auswirkungen der Corona Pandemie zurückzuführen ist und man die Auswirkungen der Corona Pandemie als höhere Gewalt bewertet.
Die Anwendung der VOB/B setzt den Abschluss eines Bauvertrages voraus, in den die VOB/B wirksam einbezogen worden ist. Da die VOB nicht die Qualität von Rechtsnormen hat, sondern vielmehr die Qualität von allgemeinen Geschäftsbedingungen, gilt sie nicht automatisch bei Abschluss eines Bauvertrages, sondern ihre Geltung muss ausdrücklich vereinbart werden. Die VOB/B gilt demnach in Kaufverträgen mit Bauverpflichtung nur, sofern dies ausdrücklich so vereinbart ist.
Kommt es bei Verträgen, denen die VOB/B zugrunde liegt, auf Grund von höherer Gewalt zu einer Behinderung des Bauablaufs, kann sich der Verkäufer unter den Voraussetzungen des § 6 Abs. 1, 2, 4 VOB/B auf eine automatische Fristverlängerung berufen. Weitere Details zu den Voraussetzungen der Verlängerung der Ausführungsfristen mit der Folge einer Bauzeitverlängerung nach VOB/B können Sie auch in unserem Blog-Beitrag vom 30. März 2020 „Corona-Krise in der Baubranche: Ausweg Bauzeitverlängerung?“ finden.
Ob eine an eine Verspätung anknüpfende Vertragsstrafe dann ebenfalls „verschoben“ wird und später pönalisierend zur Anwendung kommt oder ganz entfällt, oder ob ein Rücktrittsrecht Anwendung findet, richtet sich nach den gleichen Grundsätzen, wie oben in Ziffer (1) beschrieben.
In sehr vielen Kaufverträgen mit Bauverpflichtung ist nicht die Anwendung der VOB/B, sondern diejenige des BGB vereinbart. Das BGB enthält aber keine besonderen Regelungen im Hinblick auf zeitliche Abwicklungsstörungen. Die Verzugsbestimmungen des BGB stellen erst auf die rechtzeitige Herstellung, also den Vollendungszeitpunkt ab.
Die VOB/B trifft dagegen Regelungen für die Ausführungsphase, für welche im BGB-Werkvertrag ein Regelungsdefizit besteht. Die Pflicht, auf Rechtsgüter und Interessen des Vertragspartners Rücksicht zu nehmen (also auch im Fall von Behinderungen und Unterbrechungen im Bauablauf) und die Leistung so zu bewirken, wie Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte es erfordern (§§ 241, 242 BGB), betrifft gerade das „wie“ der Leistung. Der § 6 Abs. 1 bis 4 VOB/B stellt in diesem Zusammenhang eine Konkretisierung des Gebots von Treu und Glauben für einen Langzeitvertrag in der Baubranche dar.
Dem folgend kann man die Verpflichtung zur Behinderungsanzeige (§ 6 Abs. 1 VOB/B) als leistungssichernde Nebenpflicht im Sinne des § 241 Abs. 2 BGB auffassen. Die oben dargestellte Verlängerung der Ausführungsfristen im Fall von Behinderungen durch die Corona Pandemie veranschaulicht, was im Baugewerbe als üblich und den Beteiligten als zumutbar anzusehen ist. Diese Fristverlängerungsregelungen können über § 271 Abs. 1 BGB (Bestimmung der Leistungszeit anhand der Umstände bei Ablaufstörungen) als Konkretisierung der Umstände auf das Werkvertragsrecht nach BGB übertragen werden. Damit kommt den Umständen, insbesondere der Natur des Schuldverhältnisses, zeitbestimmende Qualität zu. Dies folgt indirekt auch aus § 286 Abs. 4 BGB, wonach der Auftragnehmer nicht in Verzug gerät, wenn er die Verzögerung nicht zu vertreten hat, was dann der Fall ist, wenn er ein Recht zur Fristverlängerung hat – gemäß § 242 BGB hat der Auftragnehmer bei unvorhergesehenen und unverschuldeten Ereignissen einen Anspruch auf Anpassung der Vertragsfristen. Die in § 6 VOB/B normierten Bestimmungen werden im BGB-Werkvertragsrecht also aus dem allgemeinen Schuldrecht hergeleitet und gelten deshalb (mit Ausnahme vereinzelter Regelungen) sinngemäß auch bei BGB-Bauverträgen.
Auch für eine Fristverlängerung durch Übertragung dieser Regelungsprinzipien müssen zunächst die darin normierten Voraussetzungen vorliegen, welche im Detail in unserem Blog-Beitrag „Corona-Krise in der Baubranche: Ausweg Bauzeitverlängerung?“ vom 30. März 2020 dargestellt sind. Die in § 6 Abs. 4 VOB/B aufgelisteten Kriterien, nämlich die Dauer der Behinderung, der Zuschlag für die Wiederaufnahme der Arbeiten und die etwaige Verschiebung in eine ungünstigere Jahreszeit, sind auch für das Werkvertragsrecht des BGB maßgeblich -jedoch auch nicht abschließend.
Für etwaige im Kaufvertrag vereinbarte Vertragsstrafen und/oder Rücktrittsrechte gelten daher auch in Kaufverträgen mit einer Bauverpflichtung nach dem BGB-Werkvertragsrecht die vorstehend unter Ziffern (1) und (2) dargestellten Grundsätze.
Neben der Möglichkeit der Verlängerung der Ausführungsfristen auf Grund einer Bauzeitverzögerung, stellt sich für den Verkäufer die Frage nach den Auswirkungen der Verlängerung der Fristen auf die Kaufpreisfälligkeit.
Regelmäßig liegt Kaufverträgen mit Bauverpflichtung ein Mietvertrag (oder ggf. mehrere Mietverträge) zugrunde und Voraussetzung für die Kaufpreisfälligkeit ist die Fertigstellung Übergabe an den/die jeweilige(n) Mieter. Hierdurch hat der jeweilige Mietvertrag und sein Bestand unmittelbar Auswirkungen auf die Durchführung des Kaufvertrages.
Was allerdings für die Verlängerung der Fristen im Rahmen des Kaufvertrags mit Bauverpflichtung gilt, muss nicht automatisch auch für die mietvertraglich geregelten Fertigstellungs- und Übergabefristen gelten. Diesbezüglich bedarf es einer genauen Prüfung der mietvertraglichen Vereinbarungen, die im Einzelfall sehr unterschiedlich ausgestaltet sein können. Hier kommt es insbesondere darauf an, ob für die Erstellung des Mietgegenstandes die Regelungen des Werkvertragsrechts oder des Mietrechts Anwendung finden. Im Fall der Anwendbarkeit des Werkvertragsrechts könnten obenstehende Grundsätze zur Fristverlängerung auch auf den Mietvertrag Anwendung finden.
In Mietverträgen sind jedenfalls Regelungen nicht unüblich, wonach dem Mieter ein Kündigungs- oder Rücktrittsrecht für den Fall des (erheblichen) Überschreitens des vereinbarten Übergabetermins zusteht (ohne automatische Verlängerungen im Fall von höherer Gewalt). Finden die werkvertraglichen Regelungen des BGB und obenstehende Grundsätze auf den Mietvertrag keine Anwendung, ist es gut möglich, dass es nicht zu Fristverlängerungen unter dem Mietvertrag kommt. Wird der jeweilige Mietvertrag aber gekündigt oder anderweitig beendet, würde der Kaufpreis mangels Eintritts der entsprechenden Fälligkeitsvoraussetzung nicht fällig und kann auch nie mehr fällig werden. Dadurch würde im Kaufvertrag der Fall der Unmöglichkeit mit der Folge eines gesetzlichen Rücktrittsrechts eintreten. Häufig enthalten Kaufverträge über vermietete Immobilien unabhängig davon sogar schon rechtsgeschäftliche Rücktrittsrechte für den Fall einer Beendigung oder eines sonstigen Wegfalls des Mietvertrages, da dieser regelmäßig ausschlaggebend für die Kaufentscheidung des Käufers ist.
Unabhängig von der jeweils vorliegenden vertraglichen Ausgangssituation kann es auf Grund der Corona Pandemie – bei Vorliegen der jeweiligen Voraussetzungen – zu einer Verlängerung der kaufvertraglichen Fristen in der Bauausführungsphase kommen. Der Verkäufer trägt die damit verbundene Darlegungslast. Ob die Verlängerung der Fertigstellungsfrist dann auch automatisch zu einer Verschiebung der maßgeblichen Zeitpunkte für Vertragsstrafe und/oder Rücktrittsrecht führt, ist von der Ausgestaltung des jeweiligen Vertrages abhängig.
Ist der Kaufgegenstand vermietet, ist der Vertrag insbesondere mit Blick auf die mietvertraglich vereinbarten Fristen und Rechtsfolgen im Fall von Verzögerungen zu überprüfen, da sich diese auf Kaufpreisfälligkeit, kaufvertraglich vereinbarte Rücktrittsrechte und sogar gesetzliche Rücktrittsrechte auswirken können.
Verfasst von Ulrike Janssen.