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Das Bundesverwaltungsgericht hat gestern zwei Urteile des Oberverwaltungsgericht des Saarlandes aufgehoben (bislang liegt nur die Pressemitteilung vor), welche die infektionsschutzrechtliche Generalklausel nicht als verfassungsgemäße Grundlage für die Schließung von Gastronomiebetrieben im Wege der Rechtsverordnung ansahen, was den Zeitraum bis Mitte November 2022 (sog. „zweite Welle“) betraf. Die Verweisung an die Vorinstanzen ist erfolgt, damit diese nun feststellen können, ob die angegriffene Regelung mit dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz und dem Gleichbehandlungsgebot vereinbar war.
Das BVerwG hat in seinen Entscheidungen vom 16.05.2023 (BVerwG 3 CN 5.22; BVerwG 3 CN 4.22) umfassend Stellung zur Anordnung von Betriebsschließungen Ende Oktober 2020 auf Grundlage der infektionsschutzrechtlichen Generalklausel im Saarland bezogen.
Vor Änderung des bundesweiten Infektionsschutzgesetzes im November 2020 regelte das Gesetz nur in Form einer Generalklausel zulässige Schutzmaßnahmen. Erst mit der Änderung wurden ganz konkret Corona-Schutzmaßnahmen wie Maskenpflicht oder Kontaktbeschränkung definiert. Gemäß § 32 S. 1 IfSG in der zum damaligen Zeitpunkt relevanten Fassung vom 20.07.2020 wurden die Landesregierungen ermächtigt, unter den Voraussetzungen, die für Maßnahmen nach den §§ 28-31 IfSG maßgebend sind, durch Rechtsverordnung entsprechende Gebote und Verbote zur Bekämpfung übertragbarer Krankheiten zu erlassen. Dabei enthielt der damalige § 28 Abs. 1 S. 1 IfSG eine Generalklausel, die den Verordnungsgeber ermächtigte, alle notwendigen Schutzmaßnahmen zur Verhinderung der Verbreitung übertragbarer Krankheiten nach Feststellung eines Krankheits- oder Ansteckungsverdachts zu ergreifen. Insbesondere befand sich in dieser Vorschrift, die Möglichkeit Personen zu verpflichten, sich nicht von einem bestimmten Ort zu entfernen bzw. öffentliche Orte nicht oder nur unter Bedingungen zu betreten.
In seinen Entscheidungen bezog sich das BVerwG auf die Urteile des OVG Saarland (OVG Saarlouis, 2 C 326/20; OVG Saarlouis 2, C 319/20).
Die Antragsteller wendeten sich mit ihren Normenkontrollanträgen gegen § 7 Abs. 1 S. 1 der bis zum 15.11.2020 geltenden saarländischen Verordnung zur Bekämpfung der Corona-Pandemie (VO-CP) vom 30.10.2022, welche eine Verordnung i. S. d. oben stehenden Ausführungen darstellte. Mittels dieser Vorschrift wurde landesweit der Gaststättenbetrieb verboten.
Das OVG Saarland war der Meinung, dass § 7 Abs. 1 S. 1 VO-CP formell rechtswidrig war, weil die Vorschrift nicht auf einer ausreichenden gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage beruhe. Die auf der Grundlage der Verordnungsermächtigung angeordnete Betriebsuntersagung für die Gastronomie genüge in dem maßgeblichen Zeitraum nicht den verfassungsrechtlichen Anforderungen aus Art. 80 Abs. 1 S. 1 und S. 2 GG. Demnach müssen Gesetze, die zum Erlass von Rechtsverordnungen ermächtigen, Inhalt, Zweck und Ausmaß der erteilten Ermächtigung bestimmen. Dabei sei die Maßgabe zu befolgen, dass je schwerwiegender die grundrechtsrelevanten Auswirkungen für die von einer Rechtsverordnung potenziell Betroffenen sind, desto strengere Anforderungen für das Maß der Bestimmtheit sowie für Inhalt und Zweck der erteilten Ermächtigung zu gelten haben. Diesen Anforderungen würden § 32 S. 1 i. V. m. § 28 Abs. 1 S. 1 IfSG nicht standhalten. Nach Ansicht des OVG war die „zweite Corona Welle“ schon im Sommer 2020 vorhersehbar und die Folgen im Herbst wenig überraschend. Dennoch sei der Gesetzgeber nicht tätig geworden. Dem Gesetzgeber sei es zeitlich möglich gewesen die parlamentsgesetzliche Grundlage für die pandemiebedingten Betriebsschließungen für Gastronomieunternehmen zu erlassen. Insbesondere wurden im Sommer 2020 die Forderungen laut, die Maßnahmen gegen die Ausbreitung des Virus auf eine tragfähige rechtliche Basis zu stellen. Das Gericht gab mithin dem Antrag statt und erweckte mit seinem Urteil den Eindruck eines Vorwurfs gegenüber dem Bundesgesetzgeber, dass er hätte handeln können und klare Strukturen und Legitimationen schaffen können, die für die Betroffenen Klarheiten geschaffen hätten.
Das BVerwG hat die Urteile aufgehoben und an das OVG Saarland zurückverwiesen. Das Gericht stellte klar, dass die infektionsschutzrechtliche Generalklausel bei Erlass der Verordnung und während ihrer Geltungsdauer eine verfassungsgemäße Grundlage für die Schließung von Gastronomieunternehmen im Wege der Rechtsverordnung gewesen sei – auch unabhängig von einem Krankheits- oder Ansteckungsverdacht. Dabei wies das BVerwG den Vorwurf zurück, dass der parlamentarische Gesetzgerber die Voraussetzungen von landesweiten Gastronomieschließungen hätte näher bestimmen müssen. Vielmehr habe er dies in der Weise getan, dass er die Generalklausel, die in dem benannten Zeitraum noch den Anforderungen des Bestimmtheitsgebots und des Demokratie- und Rechtsstaatsgebots entsprach, nicht näher bestimmt habe. Das Gericht räumt zwar ein, dass der Gesetzgeber die „erste Welle“ als Anlass hätte nehmen können, ausdrückliche Regelungen zu Schließungen von Gastronomiebetrieben schaffen zu können, aber stellte auch klar, dass es dieser ausdrücklichen Regelungen zu diesem Zeitpunkt nicht bedurfte bzw. der Gesetzgeber insoweit von seinem Regelungsspielraum Gebrauch machte bzw. machen konnte. Vielmehr durfte der Gesetzgeber mit Blick auf die Generalklausel es für nicht erforderlich halten, weitere Klarheit verschaffen zu müssen. Eine klarere Grenze hätte er darüber hinaus nur durch die Einführung von Eingriffsschwellen schaffen können. Zu diesem Zeitpunkt war die Erfahrung mit dem Erreger und der Dynamik des Pandemiegeschehens jedoch auch noch nicht ausreichend, um hinreichend konkrete Eingriffsschwellen zu schaffen.
Die Urteile des BVerwG schaffen für die Hotellerie und Gastronomie Klarheit für die „zweite Corona Welle“ bis hin zur Änderung des Infektionsschutzgesetzes im November 2020. Insoweit lässt sich festhalten, dass die Schließungen von Gastronomiebetrieben von der damaligen Generalklausel umfasst waren und keiner näheren Bestimmung durch den Bundesgesetzgeber bedurften.
Verfasst von Ulrike Janssen und Tassilo Matteo.